Immer mehr junge Menschen sprechen über ihre Erfahrungen zum Thema Eltern-Kind-Entfremdung und ein Fallbeispiel eines jungen Mannes aus meiner Praxis
Als ich irgendwann in den Sozialen Medien durch die bunte Welt der Bilder klickte und scrollte, fiel mir eine junge Frau auf, die über ihre jahrelange induzierte Entfremdung von der Mutter durch ihren Vater berichtete. So wie sie über ihr Schicksal und über ihre Gefühle schreibt, wie sie kraftvoll ihre Stimme erhebt, bereit das Schwert der Wahrheit endlich zum Zug kommen zu lassen, ließen mich über diese mutige junge Frau mehr als nur staunen.
Seit vielen Jahren befasse ich mich als betroffene Mutter mit Eltern-Kind-Entfremdung (EKE). Bis heute stelle ich immer wieder fest, dass es immer noch so viele Menschen gibt, die zu diesem Thema unwissend den Kopf schütteln, wenn ich sie frage, ob sie wissen, was EKE ist.
Mein eigener Fall liegt schon über 20 Jahre zurück und damals gab es kaum Stellen, die darüber wirklich Bescheid wussten und hilfreiche Unterstützung geben konnten. Ich erhielt Aussagen, die mich damals hoffen ließen, wie z.B. „Warte, bis dein Kind erwachsen ist, dann wird es schon wieder zurückkommen“, oder „Das kann doch nicht sein, da muss doch was vorgefallen sein. Ein Kind gehört doch zur Mutter“... usw., usw.
Das dem nicht so ist, das müssen heute Tausende von betroffenen Kindern und
Elternteilen jährlich weiterhin auf das Bitterste erfahren. Bisher kannte und hörte man in den meisten Fällen nur die lauten Stimmen der betroffenen Elternteile. Von den Kindern selbst, wo viele mittlerweile zu jungen Erwachsenen herangereift sind, konnte man bisher nur wenig erfahren. Der Druck, die Angst, die Blase in der sie leb(t)en, der Glaube, dass die Erde eine Scheibe ist, hat ihr Schweigen zementiert. Doch allmählich, so scheint es ändert sich etwas, ein leises, kaum vernehmbares „Erwachen“ findet statt.
Die Zeit ist reif für die Wahrheit
…und das ist wohl auch auf die unermüdliche Aufklärungsarbeit von betroffenen Elternteilen, die sich in den letzten Jahren in Verbänden, Institutionen und Vereinen zusammengeschlossen haben, zurückzuführen. Auch durch die sozialen Netzwerke, wie Facebook, Instagram & Co. (in diesem Fall ein eindeutiger Vorteil 😊) wurde dieses Thema, das mit so viel Vorurteilen, Unwissenheit, Missverständnissen und Wegschauen behaftet ist, der breiten Masse zugänglich gemacht.
Weniger öffentlich dagegen waren bisher die Äußerungen und Erfahrungen der betroffenen Kinder, bzw. der mittlerweile jungen Erwachsenen. Ihr Schweigen, das aus Angst, Scham und falsch verstandener Loyalität sowie den Auswirkungen dieser traumatischen Erfahrung resultiert, bricht langsam auf.
Sie haben den Mut, sich aus dem Netz der Lügen, Unwahrheiten und Manipulationen zu befreien. Sie blicken durch, sie outen sich, sie sprechen öffentlich darüber. Sie wagen sich aus ihrer lang auferlegten Isolation, Dunkelheit und Verstummung heraus.
Es fühlt sich für mich an, als käme eine Bewegung in Gang, die diesem unfassbaren Thema eine noch tiefere Dimension gibt.
Die klare Botschaft dieser Kinder lautet:
„Ich will mein Leben und meine Identität zurück“!
Sie erwachen langsam aus einem Alptraum, den man ihnen zugemutet hat, der sie eines wichtigen Teils ihres Lebens beraubt und entwurzelt hat und der zuerst einmal die Fassungslosigkeit darüber, die Wut, die Angst, die Scham und die Traurigkeit herausschleudert. Gut so! Das muss und darf einfach sein, dass diese Eiterblase nun endlich platzt.
Aussagen dieser betroffenen jungen Erwachsenen von induzierter Entfremdung sind z.B.:
· Ich dachte immer, es gibt einen guten und einen schlechten Elternteil
· Eine Zeit lang wusste ich nicht was real und was echt war
· Meine Gedanken und Gefühle wurden zerstört
· Alles, was ich wollte, war, dass ich gut genug für Papa/Mama war
· Damals habe ich nicht realisiert, dass das nicht mein freier Wille war, dass ich
Papa/Mama nicht mehr sehen wollte.
Lesen Sie hier die bewegende Geschichte von der couragierten Emi (15 Jahre) auf Instagram.
Reaktive Entfremdung und induzierte Entfremdung
Natürlich gibt es auch berechtigte Gründe für einen Kontaktabbruch, wenn sich das Kind z.B. aufgrund realer Erfahrungen wie etwas Gewalt von einem Elternteil abwendet. Man spricht hier von reaktiver Entfremdung.
Eine induzierte Entfremdung liegt vor, wenn das Kind durch bewusste oder unbewusste Einflussnahme eines Elternteils sich vom anderen abwendet.
Erfahrungsbericht aus meiner Praxis
Klaus, 33 Jahre, kommt zu mir in die Praxis wegen eines jahrelangen chronischen Ausschlags im Gesicht und am Körper sowie Erschöpfung. Er ist verheiratet und hat einen 3-jährigen Sohn.
Nach einer ausführlichen Anamnese berichtet er, dass er glücklich verheiratet ist. Er hat einen etwas stressigen Job, ist aber beruflich so weit zufrieden. Als ich ihn nach seiner Kindheit fragte, berichtete er mir, dass seine Eltern sich scheiden ließen, als er 7 Jahre alt war. Er lebte seitdem bei seiner Mutter, durfte aber seit dieser Zeit seinen Vater nicht mehr sehen. Er hat bis heute keinen Kontakt zu ihm. Als ich ihn fragte, ob er das wollte, zuckte er mit den Schultern und antwortete mir, er habe sich damals in sein Schicksal gefügt und wollte seiner Mutter keinen Kummer machen, vermisst habe er seinen Vater aber schon. Er denke oft an ihn, vor allem seit er selbst Vater geworden ist, getraut habe er sich allerdings bis heute nicht ihn zu kontaktieren. Er hatte bislang Angst vor dieser Konfrontation.
Klaus kam von weiter her in meine Praxis (ca. 180 km), so dass seine Besuche bei mir weiter auseinanderlagen. Wir behandelten neben seinen körperlichen Problemen auch sein Trauma und seine emotionalen Blockaden. Wir füllten seine "leere Energiebatterie" nach und nach wieder auf. Nach ungefähr einem Jahr war es dann so weit. Seine Haut war wieder schön und er fühlte sich wieder fit, motiviert und ausgeglichen.
Das Schönste jedoch, was er mir so ganz nebenbei berichtete war, dass er vor kurzem Kontakt zu seinem Vater aufgenommen hatte (mein Herz hüpfte vor Freude). Das Treffen mit ihm war schön, sie redeten lange miteinander und beide hatten sich fest versprochen, sich ab jetzt regelmäßig zu treffen und sich neu kennenzulernen.
Dieser Fall ist kein Einzelfall. Ich habe auch Großeltern bei mir, die keinen Kontakt mehr zu ihren Enkelkindern hatten. Ausschlaggebend war hier die Entfremdung und das Trauma der eigenen Tochter. Die Anamnese ergab eine lange "familiäre Leidens-geschichte". Aber auch hier habe ich durch die Behandlung erreichen können, dass zumindest der Kontakt zum Enkelkind wieder hergestellt wurde, ausgehend von dem neuen Mut und dem beherzten Engagement der Großmutter, die nach einer schweren Erkrankung völlig erschöpft und mutlos zu mir kam.
Gerne kannst du mich kontaktieren, wenn du Fragen hast.
Fazit - In jeder Wunde ist ein WUNDER verborgen
Jede Familiengeschichte verbirgt, wenn man tiefer schaut meistens immer einen tiefen Schmerz, eine (Ur)Wunde, die nicht verarbeitet und auf die Kinder (unbewusst) übertragen wurde. Das kann oft schon Generationen zurückliegen. Durch diese nicht verarbeitete Wunde entstehen Verhaltensweisen, Denk- Fühl- und Glaubensmuster, die tief verankert in uns sind und unser Leben prägen. Das ist uns aber in der Regel nicht bewusst.
Das Leben jedoch strebt immer nach Ausgleich. Wenn wir es versäumen uns den "Lecks" in unserem Familiensystem zu stellen, sie verdrängen, statt sie endlich anzuschauen und zu erlösen, dann findet das Leben einen Weg um uns darauf aufmerksam zu machen. Sei es in Erfolglosigkeit, Krankheit, Überforderung oder in unglücklichen Beziehungen, die uns immer wieder in das gleiche Fettnäpfchen treten lassen.
Ist es da nicht besser aus seiner Wunde ein WUNDER zu kreieren? So wie bei Klaus, der sich seinen Ängsten, Zweifeln und seiner Vergangenheit gestellt hat. Dadurch konnte nicht nur sein Körper wieder in die Balance kommen, sondern durch das Ablegen seiner alten Denk-, Fühl-, und Glaubensmuster entstand eine völlig neue und frische Sicht-weise, die ihn über sich hinauswachsen ließ.
Weitere Infos: Zum Blogbeitrag "Zum Wohle des Kindes"
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